Zusammenfassung
Ziel der Studie: Mit dieser Studie soll die Bedeutung der individuellen Zielorientierung in der gegenwärtigen
medizinischen Rehabilitation aufgezeigt werden. Der Forschungsstand verweist auf deutliche
Diskrepanzen zwischen Zielvorstellungen von Rehabilitanden und Reha-Ärzten. Gleichzeitig
verweisen Ergebnisse aus der Qualitätssicherung auf Mängel im Prozess der Abstimmung
von Rehabilitationszielen zwischen Reha-Arzt und Patient und deren Verfolgung im Verlauf
der Rehabilitation.
Methodik: Im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie wurden in vier Rehabilitationskliniken vierzig
offene, leitfadengestützte Interviews mit Rehabilitanden am Ende ihres Klinikaufenthalts
durchgeführt. Zwei Kliniken hatten einen Schwerpunkt in der Versorgung kardiologischer
Patienten, zwei Kliniken einen Schwerpunkt in der Versorgung muskuloskelettaler Patienten.
Je zwei Kliniken wiesen überdurchschnittliche bzw. unterdurchschnittliche Bewertungen
in der Skala „Rehaplan und Rehaziele” in der Patientenbefragung der Reha-Qualitätssicherung
der Deutschen Rentenversicherung auf. Die Auswertung der Interviews erfolgte inhaltsanalytisch
auf der Grundlage des thematischen Kodierens. Zusätzlich zu den Patienten wurden in
jeder Klinik im Rahmen eines Gruppengesprächs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Kliniken um Rückmeldung zu den Ergebnissen der Patienteninterviews gebeten.
Ergebnisse: Die Rehabilitanden hatten durchweg große Schwierigkeiten, über ihre persönlichen
Ziele, ihre Ziele in der Rehabilitation bzw. ihre Erwartungen zu sprechen, unabhängig
davon, ob sie in einer über- oder unterdurchschnittlich bewerteten Klinik waren. Sie
kommen z. T. ohne Erwartungen oder weisen globale und auch unrealistische, kaum konkrete
Erwartungen auf. Konkrete Zielorientierungen waren bestenfalls ansatzweise vorhanden.
Die Rehabilitationserwartungen fokussierten primär auf körperliche bzw. körperlich-funktionelle
Dimensionen. Die Mitarbeitergespräche zeigten, dass keine einheitlichen Vorstellungen
zur Zielorientierung in den Kliniken vorhanden waren. Probleme mit der Zielorientierung
wurden sowohl auf Seiten der Patienten als auch der Ärzte bzw. Klinikmitarbeiter,
in der Interaktion zwischen ihnen und in den Rahmenbedingungen bzw. den organisatorischen
Abläufen der Rehabilitation gesehen.
Diskussion: Von der Bedeutung der individuellen Zielorientierung als Essenz der medizinischen
Rehabilitation scheint die gegenwärtige Praxis weit entfernt zu sein. Ansatzpunkte
für Verbesserungen liegen auf Seiten der Patienten, der Klinikmitarbeiter, der Entwicklung
entsprechender Leitbilder in den Kliniken, aber auch in Veränderungen von Rehabilitationsprozessen,
die gegenwärtig von ökonomischen Anforderungen bestimmt erscheinen.
Abstract
Objective: This study aims to depict the significance of individual goal-setting in present-state
medical rehabilitation. Marked discrepancies between goals of rehabilitation patients
and doctors have been reported. Also, results of quality assurance programmes point
to problems in goal-setting in rehabilitation.
Methods: As part of a mixed-methods study, open guided interviews were conducted in four rehabilitation
clinics with forty patients in the final stage of their 3-week stay. Two of the clinics
focussed on care of cardiac patients, two others on musculoskeletal patients. Clinics
were selected because of above- or below-average ratings on patients’ reports in rehabilitation
quality assurance of the German Pension Fund on the “rehab planning and rehab goals”
scale. Content-analysis of interviews was based on a thematic coding approach. In
addition, staff was invited in every clinic to join a group discussion to give feedback
on the results of patient interviews.
Results: All interviewees showed marked difficulties in talking about personal goals, goals
of rehabilitation or even about their expectations, independent of being in a clinic
rated above or below average. They enter the clinic partly without expectations or
disclose global, unrealistic, or unspecific expectations. Specified goals were at
best embryonic in individual patients. Expectations were primarily concerned with
somatic or physical-functioning dimensions. Discussions with staff members disclosed
absence of consistent views regarding goal-orientation in the respective clinics.
Problems in goal-setting were both related to patients and to staff, their interaction
as well as the general framework or the organisational processes within rehabilitation.
Conclusions: The significance of individual goal-setting as the “essence of rehabilitation” is
not reflected in present-state rehabilitation in Germany. Starting points for change
are found on different levels: patients, staff, development of organisational mission
statements within the clinics, but also in changing organisational processes that
appear to be dominated by economic directives.
Schlüsselwörter
Zielsetzung - Zielorientierung - medizinische Rehabilitation - Mixed-Methods-Studie
- qualitative Interviews
Key words
goal setting - goal orientation - medical rehabilitation - mixed-methods study - qualitative
interviews